Telegram-Sperre in Brasilien wieder aufgehoben

Die Telegram-App ist in Brasilien wieder verfügbar, nachdem ein Richter die Sperrung aufhob. Gelöst ist der zugrunde liegende Konflikt aber keineswegs.

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(Bild: Justlight/Shutterstock.com)

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Von
  • Andreas Knobloch

Internetprovider und Mobilfunkanbieter in Brasilien haben am Samstag die Sperrung von Telegram aufgehoben. Zuvor hatte ein Bundesrichter eine Entscheidung teilweise revidiert, mit der die Messenger-App wegen der Weigerung, angeforderte Daten zu Chatgruppen von Neonazis an die brasilianische Bundespolizei herauszugeben, gesperrt worden war.

Die landesweite Sperrung des Dienstes sei unverhältnismäßig, entschied das Gericht nun. Der zuständige Richter behielt jedoch eine tägliche Geldstrafe in Höhe von einer Million Reais (etwa 180 000 Euro) wegen der Weigerung von Telegram, die Daten zur Verfügung zu stellen, aus erster Instanz bei. Nach Angriffen auf Schulen und Kindergärten hatte ein Gericht am Mittwoch die Sperrung von Telegram in Brasilien angeordnet.

Die vollständige Suspendierung "ist angesichts der weitreichenden Auswirkungen auf das gesamte Staatsgebiet auf die Kommunikationsfreiheit tausender Menschen, denen die untersuchten Fakten völlig fremd sind, nicht angemessen", so Richter Flávio Lucas in einer Erklärung des Bundesgerichts zu dem Urteil. Aber: "Technologieunternehmen müssen verstehen, dass der Cyberspace kein freies Territorium sein kann, ... mit eigenen Regeln, die von denjenigen geschaffen und verwaltet werden, die ihn kommerziell ausnutzen", so der Richter weiter.

Bereits im März vergangenen Jahres war der Messengerdienst erstmals kurzzeitig im gesamten Land gesperrt worden. Der Grund: Telegram hatte Aufforderungen zum Löschen bestimmter beanstandeter Inhalte sowie Nutzerkonten ignoriert. Damals ermittelte die Bundespolizei in Brasilien gegen einen Blogger, der auf dem Messengerdienst fragwürdige Inhalte verbreitet haben und dem damaligen Präsidenten Jair Bolsonaro nahestehen soll. Mit der Begründung, dass es nicht mit den Behörden kooperiert habe, ordnete der Oberste Gerichtshof die landesweite Abschaltung von Telegram an. Die dauerte zwei Tage und wurde wieder aufgehoben.

Bei dem aktuellen Fall geht es um polizeiliche Untersuchungen einer Schießerei an einer Schule im November. Damals hatte ein ehemaliger Schüler, der eine kugelsichere Weste mit Hakenkreuz trug, mit einer halbautomatischen Pistole drei Menschen erschossen und 13 verwundet, nachdem er in zwei Schulen in der Kleinstadt Aracruz im Bundesstaat Espirito Santo eingedrungen war. Es wird vermutet, dass der 16-Jährige Mitglied von extremistischen Kanälen auf Telegram war, wo Anleitungen zum Mord und zur Herstellung von Bomben verbreitet wurden. Die Bundespolizei forderte Telegram auf, Angaben zu Namen, Steuernummern, Profilfotos, Bankinformationen und registrierten Kreditkarten der Mitglieder des Kanals zu machen, in dem mutmaßlich zu Gewalttaten in Schulen aufgerufen wurde.

Telegram argumentiert, das die angeforderten Informationen "technisch" nicht zu beschaffen seien. In der Tat erscheint es unklar, wie viele der angeforderten Daten Telegram zur Verfügung stellen kann. Für die Erstellung eines Telegram-Kontos ist lediglich eine Telefonnummer erforderlich, und es werden regelmäßig Pseudonyme verwendet. Außerdem bietet Telegram seit Dezember die Möglichkeit, Konten mit anonymen Nummern zu erstellen.

Die brasilianische Bundespolizei ermittelt derzeit zu mehreren bewaffneten Angriffen auf Schulen und Kindergärten, die in den vergangenen Monaten stark zugenommen haben. Laut der US-Nachrichtenagentur AP gab es in dem Land seit dem Jahr 2000 etwa zwei Dutzend blutige Angriffe an Schulen, die Hälfte davon in den vergangenen 12 Monaten. Erst Anfang April hatte ein 25-Jähriger mit einem Beil vier Kinder in einer Kinderkrippe in Blumenau getötet, kurz vorher hatte ein 13-Jähriger in São Paulo mehrere Lehrkräfte und einen Schüler mit einem Messer attackiert. Eine 71-jährige Lehrerin war an den Folgen gestorben.

Bei ihren Bemühungen, die Gewalt an Schulen einzudämmen, konzentriert sich die brasilianische Regierung insbesondere auf den Einfluss der sozialen Medien. Ziel ist es, weitere Vorfälle zu verhindern und insbesondere Plattformen zur Verantwortung zu ziehen, die es versäumen, Inhalte zu entfernen, die angeblich zu Gewalt aufrufen.

(akn)